Zur Unfreiheit der Presse: Über die Durchsetzung der kapitalistischen Geschäftspresse und die Formwechsel der Zensur im 19. Jahrhundert in Deutschland

Abstract

Das Kernstück dieser Arbeit bildet die Untersuchung der Schriften zur Pressefreiheit des jungen Marx aus dem Jahr 1842. Marx unterscheidet dort die äußere Unfreiheit der Presse - die Zensur - von der inneren Unfreiheit, die er in der Unterwerfung der Presse- unter die Gewerbefreiheit erkennt. Von Marx’ Überlegungen ausgehend wird in den darauf folgenden Kapiteln einerseits untersucht, welche Formwechsel die äußere Unfreiheit der Zensur in der zweiten Hälfte des langen 19. Jahrhunderts vollzog und andererseits analysiert, wie sich mit der Durchsetzung der kapitalistischen Geschäftspresse auf Grundlage der industriellen Massenproduktion die innere Unfreiheit manifestierte. Inspiriert von der Kritik der politischen Ökonomie wird Zensur als gesellschaftliches Verhältnis begriffen, dessen Formen sich einhergehend mit dem Formwechsel der Herrschaft und Knechtung transformieren. Die Untersuchung setzt ein beim Formwechsel von der bürokratischen Vorzensur zur administrativ-materiellen Zensur nach der gescheiterten Revolution 1848. Mit ersterer Zensurform versuchte die Feudalherrschaft vergeblich das Bürgertum zu gängeln, mit letzterer wollten die besitzenden Klassen des Bürgertums und des Adels sich vor dem Proletariat schützen. Der letzte Formwechsel, der untersucht wird, resultiert in der immanent-materiellen Zensur, die sich mit der kapitalistischen Geschäftspresse auf der technischen Grundlage der industriellen Massenproduktion und der rechtlichen Grundlage der Pressefreiheit herausgebildet hat. Meine These lautet, dass sich die mit der Herrschaft verschlungene Zensur von einer persönlichen in eine unpersönliche, durch Dinge vermittelte, verwandelt hat. Wurde der erste Formwechsel zur administrativ-materiellen Zensur noch bewusst von den herrschenden Klassen durchgesetzt, vollzog sich der Formwechsel zur immanent-materiellen Zensur bewusstlos. Diese Form wohnt der kapitalistischen Herrschaft als stumme Zensur der Verhältnisse inne. An diesem Punkt vereinigt sie sich mit der inneren Unfreiheit, die in der Unterwerfung der Presse unter das Geschäftsinteresse besteht.

The centrepiece of this study is the analysis of Marx's early writings on the freedom of the press in 1842. Marx distinguishes between the external bondage of the press - i.e., censorship -, and the inner bondage defined as the submission of the freedom of the press under the economic freedom. On the basis of Marx's concept, I analyse on the one hand the metamorphoses of censorship in the second half of the long 19th century. On the other hand, I analyse how the inner bondage of the press manifests itself on the basis of the enforcement of the capitalist press and the industrial mass production. Inspired by Marx's critique of political economy, I perceive censorship as a social relation whose manifestations transform along with the metamorphoses of domination and servitude. The first metamorphosis, which I analyse, is the transformation of the bureaucratic pre-censorship into the administrative-material censorship after the failed revolution in 1848. With the former form the feudal class attempted to hold the bourgeoisie at bay. When these two classes realised that they were both threatened by the same dangerous enemy - the working class -, they built a class coalition of the haves against the have-nots. The administrative-material censorship was a defensive means used by that coalition. The last metamorphosis, which I analyse, is the transformation of the administrative-material into the immanent-material censorship which evolved along with the capitalist press and the freedom of the press on the basis of capitalist industrial mass production. My thesis is that censorship, intertwined with domination, was transformed from a personal into an impersonal social relation mediated by things. While the first metamorphosis was a conscious act by the ruling classes, the second metamorphosis took place unconsciously. Its result, the immanent-material censorship, is a part of the mute compulsion of capitalist domination. At this point of the historical development the mute censorship - the external bondage of the press - merges with the inner bondage of submitting the press under capitalist interest.